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Die archäologischen Untersuchungen von 1945 und 1950 auf dem Geländesporn dokumentieren ein frühmittelalterliches Gräberfeld, in das im 7. oder 8. Jahrhundert eine kleine Steinkirche errichtet wurde: ein Saalbau mit zwei seitlichen Annexen und unbekanntem Ostabschluss, wohl einer Apsis. Die Kirche gehört damit zu dem im 6. bis 8. Jahrhundert verbreiteten Bautyp der Apsidenkirche mit seitlichen Nebenräumen.
Ausserhalb, aber direkt an der Kirchensüdmauer gelegen, fand sich ein karolingerzeitliches Grab, in dem eine hochgestellten Persönlichkeit lag, ein Mann, der mit verzierten Reitersporen und einem Scramasax (Kurzschwert) ausgestattet war. Man nimmt an, dass es sich dabei um den adligen Kirchengründer oder einen seiner Nachfahren handelt.
Um 1000 wurde dieses erste Gotteshaus abgebrochen und an seiner Stelle errichtete man die noch heute bestehende Kirche, die – wegen ihrer Hanglage auf dem Sporn – über eine steile Steintreppe im Westen betreten wird. Die Spiezer Schlosskirche ist ein wunderbar erhaltenes Beispiel für den frühromanischen Baustil, dessen Vorbilder in der Lombardei zu suchen sind. Die querschifflose dreischiffige Pfeilerbasilika mit drei Apsiden ist flach gedeckt, nur das mittlere Chorjoch ist tonnengewölbt und die beiden seitlichen Joche vor den Apsiden weisen Kreuzgratgewölbe auf. Der über eine breite Treppe erreichbare Chor ist stark erhöht, weil sich darunter eine stützenlose Hallenkrypta mit Kreuzgratgewölbe befindet. Sie ist in ihrer Form einzigartig und ein wichtiges Bindeglied zwischen Umgangsanlagen und Hallenkrypten. Das westlichste Nordseitenschiffjoch nimmt der Kirchturm ein. Ungewiss ist, ob dieser zusammen mit dem romanischen Kirchenbau entstanden war oder noch älter ist und zum Vorgängerbau des 7./8. Jahrhunderts gehört. An der Südapsis ist sichtbar, dass die romanische Kirche ursprünglich steinsichtig ausgefugt war. Die Apsiden sind mit Lisenen und Blendbogenfriesen gegliedert.
Um 1200 oder wenig später wurde die Kirche mit romanischen Wandmalereien ausgestattet. In der Chortonne zeigen sie Christus in einer von Engeln gehaltenen Mandorla, der beidseits von je sechs Aposteln flankiert wird. In der Apsiskalotte ist eine Muttergottes sichtbar, die von den Evangelistensymbolen umgeben ist. Diese Malereien gehören nach Umfang, Gliederung, Qualität und Ikonographie zu den schönsten und besterhaltenenen besten Zeugnissen der Schweiz aus dieser Zeit.
An der Nordwand des Schiffes steht ein überlebensgrosser Christophorus aus der Zeit um 1300. Wohl um 1518/22 wurde die spätgotische Kanzel aufgestellt, ein ungewöhnliches Werk aus holzarmiertem Stuck. Aus der gleichen Zeit stammt der flachgeschnitzte Kirchenstuhl mit dem Wappen Erlach und dem Christusmonogramm. 1670/76 kam es unter unter Sigismund von Erlach zu einer Barockisierung mit Fensterveränderungen, einheitlichem First- und Innenniveau, die auch den Abbruch der Krypta zur Folge hatte, sowie Stuck- und Putzverkleidung des Innern. 1831 erhielt die Pfarrkirche die Orgel, die auf der 2018 erneuerten Westempore steht. Das Instrument stammt von Franz Josef Remigius Bossart aus Baar. Der heutige «re-romanisierte» Zustand der Kirche entstand anlässlich der Gesamtrestaurierung von 1949/50. Dabei wurden die Barockisierungen weitgehend rückgängig gemacht und die Krypta wiederhergestellt.
Das Patrozinium der Kirche ist unbekannt; der vielfach angenommene Heilige Laurentius ist nicht belegt. Man weiss nur von einem 1361 bestehenden und einige Jahre zuvor gestifteten Katharinenaltar. Die Kirche des 7./8. Jahrhunderts ist ein sehr schönes Beispiel für eine «Eigenkirche», das ist ein Gotteshaus, das von lokalen Adligen im Zug der frühmittelalterlichen Christianisierung errichtet worden war und sowohl als privilegierte Adelsgrablege und Totenmemoria wie auch als Gemeindekirche diente. Meist wurden solche Eigenkirchen beim Wohnsitz des Kirchengründers erbaut. Darum ist zu vermuten, dass dieser in Form eines frühmittelalterlichen Herrenhofes oder als frühe Holz-Erde-Burg im Bereich des heutigen Schlosses stand. Der Kirchensatz blieb denn auch in der Folge in den Händen des jeweiligen Schlossherrn.
Der Chronist Elogius Kiburger behauptet um 1466, der noch heute bestehende Bau habe einem Chorherrenstift gedient, wofür in der Tat die Krypta, aber auch die grossartigen Malereien sprechen könnten. Bereits 1228 ist er jedoch nur als Pfarrkirche von Spiez bezeugt, eine Funktion, die er ins 20. Jahrhundert erfüllte.
Die Kirche diente nicht nur als Pfarrkirche, sondern lange auch als Memorialbau und Grablege der jeweiligen Schlossbesitzer. So wurde etwa Jeanne de la Sarraz, seit 1457 die zweite Gemahlin von Adrian I. von Bubenberg, dort bestattet. Aber vor allem die Adelsfamilie von Erlach ist in der Kirche präsent. Neben vielen Wappen in Form von Glasscheiben, Malereien und Stuckskulpturen sind die beiden Seitenapsiden zentral, die von den Erlach zu eigentlichen Grabkapellen ausgebaut wurden. Die südliche Seitenapsis beherbergt das Epitaph von Franz Ludwig von Erlach († 1651), das nördliche Pendent liess Sigmund von Erlach (1614-1699) als sein Mausoleum einrichten. Diese Periode endete definitiv 1875 mit dem Bankrott des letzten Schlossbesitzers aus dieser Familie, Ferdinand von Erlach.
Mit dem Bau des neuen Gotteshauses im Dorf im Jahr 1907 verlor die Schlosskirche ihren Status als Pfarrkirche. 1929 ging das Gebäude in den Besitz der Stiftung Schloss Spiez über. Heute dient die Kirche als Veranstaltungsraum für Konzerte, Lesungen und andere kulturelle Anlässe, ist ein beliebter Ort zum Heiraten und wird auch für einzelne Gottesdienste genutzt.